In der Portraitfotografie geht es um die porträtierte Person. Und um den Fotografen. Und wie der Fotograf die porträtierte Person sieht. Und wie die porträtierte Person den Fotografen sieht.
Vor einiger Zeit habe ich mal einen Bildband einer polnischen Fotografin betrachtet. Ein großer Teil waren Portraits von Frauen. Sehr einfühlsam, sehr stark in der Aussage. Sie hatte es geschafft, dass die Frauen sich ihr öffneten. Ihre Persönlichkeiten sichtbar werden ließen. Meisterhaft. Ihr Können ist über jeden Zweifel erhaben. Im zweiten Teil des Bandes waren auch Männerportraits zu sehen. Aber welcher Unterschied! Jedes Gesicht war reserviert, ungeduldig. Als blickten die Männer auf die Fotografin herab. Genau das war mein Eindruck. Die Mienen schienen zu sagen: "Hat es etwa nicht für einen männlichen Lichtbildner gereicht?"
Für mich war das ein Augenöffner. Ich denke ich verstehe jetzt besser, warum z.B. Helmut Newton seine Aufnahmen der Reichen und Schönen machen konnte. Seine Kunstfertigkeit allein hätte wahrscheinlich nicht gereicht. Aber als Sohn reicher Eltern war er in Luxushotels und mondänen Seebädern zu Hause. Er wusste wie man sich gibt, wie man spricht, all die Kleinigkeiten. In seiner Nähe fühlten sie sich unter Ihresgleichen.
Das Porträt ist also immer auch ein Abbild der Beziehung zwischen Fotograf und Porträtiertem. Bestehen Zweifel an der Motivation und dem Können des Fotografen, wird das Modell nicht alles geben. Fehlt es dem Fotografen an Respekt, wird er das Besondere  bei seinem Gegenüber nicht erwarten, nicht bemerken und bestenfalls zufällig im Bild festhalten können.
Menschen haben ein recht feines Gespür dafür, was ihr Gegenüber von ihnen hält. Fühlt sich der Fotograf nicht wohl in der Gegenwart seines Models, so kann er das als Profi überspielen, einfach etwas fotografieren, obwohl es ihm nicht gefällt. Lust, eine solche Erfahrung zu wiederholen oder weiterzugeben, wird er wahrscheinlich nicht haben. Wesentlich schwieriger wird es, wenn das Model sich beim Fotografen nicht gut aufgehoben fühlt. Ungute Gefühle spiegeln sich entweder im Gesicht wider, oder führen zu einem verschlossenen Pokerface. Einen tiefen Einblick in das Wesen des anderen Menschen wird man so nicht bekommen. Einfach ausgedrückt, auf dem Porträt wird man sehen, von welcher Art der Draht war, der sich zwischen fotografierter Person und Fotograf gesponnen hatte.
Also eine gewisse gegenseitige Achtung ist schon mal ein guter Startpunkt für eine gelungene Fotositzung. Ein Startpunkt für ein persönliches Gespräch, am besten nur zu zweit. Und ein Teil dieses Gesprächs sind die Bilder, die entstehen. Und man sollte auch verinnerlichen, dass nicht alles, was gesagt wird, für andere bestimmt ist. Und nicht jedes Bild sollte herumgezeigt werden. 
Am Ende einer gelungenen Sitzung steht eine Geschichte, die an andere weitergegeben werden kann.

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